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Meine Fahrräder

Meine Begleiter durchs Hochgebirge kommen vom flachen Land: Genauer aus Neuendorf bei Elmshorn nordwestlich Hamburgs. Hier entstehen in der Werkstatt von Rudolf Pallesen in Kleinserien oder als maßgefertigte Einzelstücke Renn- und Reiseräder, die unter dem Markennamen Norwid ihre Liebhaber längst nicht mehr nur in Norddeutschland finden.

Maßgefertigte Fahrradrahmen? Das klingt nach Luxus, gar Dekadenz, ist tatsächlich aber eine höchst sinnvolle Investition. Gerade für Radreisende:

Wer über Wochen hundert und mehr Kilometer pro Tag zurücklegt, ist darauf angewiesen, dass das Rad perfekt passt. Und das lässt sich je nach Körperbau und bevorzugter Sitzposition bei einem gegebenen Serienrahmen nur in Grenzen über Vorbau-, Sattelstützen- und Kurbellänge erreichen, ohne die Fahreigenschaften ungünstig zu beeinflussen. Außerdem kann der Rahmenbauer auf Sonderwünsche eingehen, die bei Serienfertigung mangels Stückzahl nicht realisierbar wären. Wie zum Beispiel bei meinem Rennrad:

Als ich einen schnellen, leichten Tourer in Auftrag gab, wusste ich aus vorhergehender Erfahrung, dass mir ruhiger Geradeauslauf nicht so wichtig ist wie Wendigkeit und direkte Kraftübertragung. Folglich hat meine „Bergziege“ einen noch kürzeren Radstand als bei Rennrädern ohnehin üblich; dennoch bleibt Platz für vergleichsweise breite 28-mm-Bereifung. Außerdem sind Befestigungspunkte für Gepäckträger und die eher exotischen Magura-HS66-Hydraulikbremsen vorhanden.

 
 

Gerade 98 cm Radstand bei 57 cm Rahmenhöhe, dabei Platz für 28-mm-Bereifung und für Gepäck: Diese „Bergziege“ ist ein äußerst wendiges, hoch effizientes Maschinchen für flotte Anstiege und engste Spitzkehren, das man aber auch mal über eine Schotterpiste quälen darf.

 

 

Und dafür, dass auch bergab keine Nervosität aufkommt, sorgen vorn die zuverlässigen Hydraulik-Stopper Magura HS66 auf Spezialsockeln.

 

 

Realisiert ist das Ganze mit einem Columbus-MAX-Rohrsatz, den Herr Pallesen eigentlich nur Leuten empfiehlt, die 50 Prozent mehr auf die Waage bringen als ich. Dieser Rahmen ist im Tretlager- wie im Steuerrohrbereich extrem unnachgiebig; dadurch fühlt er sich zwar etwas „hart“ an, verschwendet aber auch bei knackigem Antreten keine Energie in Verwindung, sondern bringt die eingesetzte Kraft überaus effektiv auf die Straße.

Geometrisch fast eine Bergzeitfahrmaschine, aber mit Gepäck-Option — solch eine Kombination dürfte eher selten nachgefragt werden. Ein völlig anderes, ebenfalls unkonventionelles Ziel verfolgte ich bei der Planung meines Mountainbikes:

Einerseits würde das Rad der Nachfolger meines ersten Reiserades werden, das weder vom Rahmen noch von den Bremsen für Anhängerbetrieb im Gebirge ausgelegt ist, musste also schwere Beladung verkraften. Andererseits war ich spätestens auf der Assiettastraße auf den Schotter-Geschmack gekommen, die Zugmaschine sollte also auch als wendiges, sportliches Gerät für Geländetouren geeignet sein.

Am Ende eines ziemlich langen Entscheidungsprozesses [1] war klar, dass es ein MTB mit tandemtauglichen Scheibenbremsen und einer Rohloff-Nabe werden würde, letztere in den Original-Ausfallern, um das weder ästhetisch noch praktisch befriedigende Provisorium mit Drehmomentstütze und Kettenspanner zu umgehen. Der Rest ergab sich daraus: So die etwas übergewichtige, aber erfreulich steife RockShox-Psylo-Federgabel [2] (wohl keine Starrgabel würde auf Dauer die Kräfte ertragen, die an der 190-mm-Scheibe der Magura Gustav M. anfallen) und um der Teleskopgabel willen wiederum der Gepäckträger Tubus Swing, der höher liegt als gewöhnliche Lowrider, aber zur gefederten Masse gehört.

 
 

Filigran geht anders, aber ein hochwertiger Kaltblüter wird schließlich auch nicht dafür gehalten, Dressur-Wettbewerbe zu gewinnen. Und als „Arbeitstier“ ist dieses überaus robuste MTB bestens geeignet.

 

 

Der „Rote Baron“ in Rohloff-OEM-Ausfallern. Die Scheibe hinten gehört zur Gustav M.; diese brachiale Bremse verzögert selbst dann tadellos, wenn auf langen Abfahrten noch der Ritschie mit voller Besatzung dranhängt.

 
 

Auch so ein Rad wird in Serie wohl nie gebaut; schon für die Kombination aus Scheibenbremse hinten, Rohloff-Nabe und Hinterbauständer mit Anhängerkupplung musste es ein Maßrahmen sein. Außerdem ist dieser Bolide für ein teilgefedertes Rad eher schwer, aber ausgesprochen robust und nach meinen bisherigen Erfahrungen sehr zuverlässig, dabei aber noch erfreulich agil im schwierigen Gelände, wie man es von einem reinen „Lastesel“ kaum mehr erwarten kann.

(Wer ein maßgefertigtes MTB in Erwägung zieht, sollte übrigens darauf achten, dass der Hinterbau Platz für breite Reifen bietet. Der Trend geht hier in jüngster Zeit nämlich klar zu Maßen jenseits von 55 Millimeter bzw. 2,2 Zoll; in meinem bevorzugten Bereich um 2 Zoll / 50 Millimeter ist zumindest bei kräftig profilierten Reifen die Auswahl binnen zweier Jahre schon überschaubar geworden. Und welche Reifen fahre ich? Als Allround-Puschen ist aktuell hinten ein „Schwalbe Marathon Plus ATB“ aufgezogen, der passable Laufruhe mit ordentlicher Traktion auf Schotter und im Matsch verbindet und, insofern ein klassischer Marathon, bisher unglaublich robust wirkt. Fürs Vorderrad eignet er sich aber nicht, da sein dünner Mittelsteg jeder Rille im Asphalt hinterherläuft. Hier gefällt mir on wie off road der „Conti Travel Contact“ sehr gut, ein enorm leicht laufender Semislick mit vernünftig dimensionierten Schulterstollen. Als Ersatz im Reisegepäck dient mir ein faltbarer „Conti Twister ProTection“, der bei Abstrichen in der Laufruhe ein gleichermaßen vorn wie hinten guter Vielzweckreifen ist. Wenn ich über längere Zeiträume mit mehr Gelände als Straße rechne, montiere ich von vornherein zwei „Twister“.)

Solche Fahrräder sind naturgemäß nicht billig. Aber gemessen daran, welche Summen für ein edles Sportgerät von der Stange fällig sind, das längst nicht so gut auf die individuellen Bedürfnisse seines Benutzers abgestimmt werden kann, ist eine Maßanfertigung für Vielfahrer allemal preiswert — und die bleibende Freude an gediegener Handarbeit gibt es obendrauf: Muffenlos gelötete Rohrübergänge (fillet brazing) etwa sind im Gegensatz zu industriellen Schweißnähten eine echte Augenweide.

 

[1] Aus dieser Periode datiert übrigens meine schönste Erinnerung an einen Fahrradverkäufer:

In einem durchaus anspruchsvoll sortierten Hamburger Fachgeschäft (aus guten Gründen hier kein Link) wurde ich mit der Frage nach einem geeigneten Gefährt für Alpencross mit viel Gepäck vorstellig. Daraufhin durfte ich einen augenscheinlich waffenscheinpflichtigen Downhill-Boliden des Typs „addierte Federwege gleich halber Radstand“ probefahren, dann ein — zugestanden wunderschönes — filigranes Ultraleicht-Starrbike aus einer US-Edelmanufaktur bewundern und anschließend die begeisterten Ausführungen des freundlichen Herrn Fachhändlers über mich ergehen lassen, warum diese beiden Maschinen für meine Zwecke gleichermaßen perfekt geeignet seien.

Dass das Duo zugleich die preisliche Spitze des präsentierten Sortiments markierte, kann ich mir beim besten Willen nur mit Zufall erklären :-)

[2] August 2005: Im vierten Jahr (nach Lektüre einschlägiger Foren bin ich versucht zu schreiben „erst“) hat sich die Blockier-Funktion der Gabel abgemeldet. Nun ja, dieses Schmankerl habe ich ohnehin fast nie genutzt, und da die Instandsetzung des Lockouts laut dem Händler meines Vertrauens ohnehin die größte Einzelaktion im Rahmen des jährlichen Ölwechsels ist, lasse ich es jetzt einfach, wie es ist. Solange nur die inneren Dichtungen betroffen sind, ist die Gabel ja noch prinzipiell funktionsfähig. Aber ich weiß schon, warum ich keine Luftfederung fahre …
Juni 2011: Und mittlerweile hat der Trecker gar keine Federgabel mehr.