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Schweiz 2003, Teil 1

Die Route: Basel – Grenchenberg – Jaun – Meienberg – Thuner See – Firstalm/Scheidegg – Engstlenalp – Glaubenbielen – Glaubenberg – Luzern; 8 Etappen,
ca. 600 km (davon ca. 30 Prozent Schotter/Trail) ,
ca. 15500 Höhenmeter;
Karte: Carte Nationale de la Suisse, 1:100000, Zusammensetzungen 111 Ajoie – Fribourg, 101 Thuner See – Zentralschweiz (deckt ca. eine halbe Tagesetappe am 3./4. Tag nicht ab)

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Basel – Moutier; 79 km, 1900 Höhenmeter

Am anstrengendsten ist es oft dort, wo man am wenigsten damit rechnet …
Nach überaus angenehmer Anreise im Nachtzug fahre ich früh morgens frisch und munter in Basel los und tue mich etwas schwer damit, aus der Stadt herauszufinden, denn mittlerweile gibt es hier so viele Radrouten, dass die Wegweisung unübersichtlich wird. Auf hübschen Schotterstraßen strample ich mich am Blattenpass warm, um mir sodann in einem Straßencafé in Laufen ein zweites Frühstück zu gönnen. Doch für den vermeintlich unscheinbaren Höhenzug zwischen Laufental und Val Terbi sind’s noch nicht genug Kalorien:

Zwischen Grindel und dem Welschgätterli liegen bloß rund zweihundert Höhenmeter, die allerdings überwiegend auf grobem Geröll bei mindestens 20, meist näher an 30 Prozent Steigung zu bewältigen sind. Mit dem voll bepackten MTB ist Schieben angesagt; dank zahlreicher Weidegatter und einer kurzen, aber kniffligen Kletterpassage gelegentlich auch Tragen.

Klartext: Die Direttissima hinüber nach Mervelier ist nur konditions- und nervenstarken Radlern zu empfehlen, und zwar ausschließlich bei trockenem Wetter. Ansonsten sollte man den Bereich Fringeli – Stierenberg – Welschgätterli weiträumig umfahren und den wandernden Kollegen überlassen, so schön es hier auch sein mag.

Bei immer stärkerer Hitze geht es hinter Mervelier gleich wieder bergan: über Schelten nach Rotlach und auf einem unbefestigten, aber leidlich fahrbaren Kammweg mit feinem Blick ins Land nach Schönenberg. Dort erweist sich das Passieren der Kuhweide als letzte Gelände-Herausforderung des Tages: drei Trage-Durchgänge für Fahrrad und Gepäck durch tiefen Schlamm. Selbst hier auf über 1000 m sind es am späten Nachmittag noch 37 Grad Celsius, deshalb lasse ich die Abfahrt in Richtung des Etappenziels Moutier zwecks Luftkühlung etwas flotter angehen.

Unterkunft findet man hier, aber gastronomisch gibt der Ort leider weniger her, als das Kartenbild suggeriert. Die Nähe zum Jura scheint sich auf die Belebtheit auszuwirken …

Moutier – Graitery – Grenchenberg – Büren – Wohlensee – Laupen – Flamatt; 96 km, 1900 Hm

In Moutier ist die Route Richtung Graitery ausgeschildert wie eine normale Fahrstraße. Merkwürdig, denn ab dem Ortsausgang ist die durchschnittlich mit zehn Prozent ansteigende Piste mit lockerem Schotter belegt – mit dem Mountainbike eine hübsche Sache, aber Auto fahren wollte ich hier nicht. Die erste Traverse überwindet ohne eine einzige Kurve rund 250 Höhenmeter, und danach wird’s erst richtig steil. Zum Lohn der Mühe geht der Wald bald in eine Almwiese über, wie man sie auch tausend Meter höher kaum schöner findet, und auch die Abfahrt nach Court ist ein Leckerli: Geschottert, dennoch griffig, nicht zu steil, weitläufige Kurven – perfekt zum entspannten Rollen.

Auf meiner Karte finde ich zwar weder Granges noch Montoz, folge aber dennoch der entsprechenden Beschilderung aus Court heraus nach Süden und bin schwer begeistert: Es folgt eine formidable Kletterei auf einer knackigen (über weite Strecken 12 bis 15 Prozent), tadellos asphaltierten und kaum befahrenen Straße zum Grenchenberg. Die Landschaft hier oben ist wieder mustergültig romantisch, und um den Genuss noch zu steigern, gibt es vor der Abfahrt ins Aaretal einen leckeren Zwetschgenkuchen.

Für den Rest des Tages muss ich zwar auf nennenswerte Steigungen verzichten, aber wirklich flach ist es um Bern herum auch nicht: Kurz hinter Büren beginnt ein kontinuierliches Auf und Ab auf schmalen Landstraßen, hin und wieder garniert mit Alpenblick. Eigentlich möchte ich die Etappe schon in Laupen beschließen, aber das einzige Hotel am Platz ist noch nicht geöffnet. Ein reizendes Café in der Altstadt hingegen schon; deshalb noch einen Apfelstrudel mit Zimteis, bevor ich der Radroute am Sense-Ufer bis Flamatt folge. Hier gibt’s sogar Auswahl beim Übernachtungsangebot. Ich entscheide mich für das ultramoderne „Hotel Flamatt“, das statt echter Rezeption nur eine Telefonverbindung zum zugehörigen Bistro hundert Meter weiter hat (dessen anständiges Speisen- und Getränkeangebot ich im Laufe des Abends zu würdigen weiß). Eine Garage hat’s auch nicht, aber ich dürfte mein Velo sogar mit ins Zimmer nehmen. Letztlich wird es aber im hinreichend geräumigen Treppenhaus angeschlossen.

Flamatt – Schwarzenburg – Riffenmatt – Ottenleuebad – Schwarzsee – Euschelspass – Jaun – Chalet Grat/Gastlosen; 68 km, 2400 Hm

Zum Frühstück erscheint hier ebenfalls kein Service-Personal, und an der Bedienung der seltsam beschrifteten Jura Impressa drohen auch die übrigen Hotelgäste zu verzweifeln. Irgendwann kommt aber doch so was wie Kaffee raus und weckt die Lebensgeister für eine wundervolle Etappe:

Lockerem Einrollen durch eine Bilderbuchidylle bis Riffenmatt (nur hinter der Ruchmülibrücke bringt ein halber Kilometer à 16% Steigung den Puls auf Trab) folgt ein fast schon alpines Serpentinensträßchen in die höheren Lagen des Egg-Massivs. Von hier oben lässt sich bei Kaiserwetter die nächste Herausforderung des Tages bereits erahnen, bevor es zunächst – anfangs geschottert, aber immer gut zu fahren – ins Tal der Kalten Sense hinab- und geruhsam zum Schwarzsee hinaufgeht, einem kleinen Juwel, das auch ausgangs der Hauptsaison noch sehr gut besucht ist.

Habe ich einen „Knick in der Optik“, oder gibt es an der Nordseite des Schwarzsees wirklich keinen öffentlichen Brunnen, und ist das Leitungswasser hier wirklich nur gefiltert genießbar? Muss ich halt die Kellnerin im Gartencafé becircen … Reichlich Wasservorrat ist allerdings unabdingbar, denn der Euschelspass ist in Nord-Süd-Richtung durchaus schweißtreibend:

Gleich der Einstieg hält bei Steigungsspitzen über 30 Prozent auf derbem Schotter ein paar Schiebepassagen bereit, was aber nicht weiter stört, weil so der Blick entspannter durch diese prächtige Landschaft schweifen kann als im Wiegetritt. Die obere Hälfte des Anstiegs lässt sich trotz schwierigen Untergrundes mit etwas Konzentration gut fahren, und mein Lastesel und ich ziehen die wortreiche Bewunderung etlicher Wanderer auf uns.

Am Scheitelpunkt der Piste genieße ich erst mal die Spätnachmittagssonne, bevor ich mich auf der Abfahrt nach Jaun darüber freue, den Euschelspass „richtigrum“ bewältigt zu haben: Die Südseite ist (mäßig) asphaltiert und nicht sonderlich steil, die einzige Herausforderung bergauf bestünde in der Sonneneinstrahlung.

Da es früh am Tag ist, mag ich mir in Jaun noch keine Unterkunft suchen und rolle gemütlich weiter in Richtung des gleichnamigen Passes. Dann lockt mich jedoch das Hinweisschild nach Abländschen: Ich erinnere mich nämlich an einen „Tour“-Artikel vor etlichen Jahren, in dem Abländschen als Oase der Ruhe beschrieben wurde, und nach dem Autobahnpanorama aus meinem Zimmer im Hotel Flamatt kann mir das nur recht sein …

Aber es soll sogar noch besser kommen: Nach ein paar Kilometern längs des Baches zweigt eine schmale Straße nach rechts ab, die laut Beschilderung zum Chalet Grat führt. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet (zumal meine Landkarte bei Jaun aufhört), aber noch nicht genug Höhenmeter für heute in den Beinen, also los! Und diese spontane Entscheidung erweist sich als goldrichtig:

Es folgen fünf bis sechs Kilometer à durchschnittlich zehn Prozent Steigung bei phänomenaler Aussicht, bis die Straße auf 1642 Metern abrupt am Fuß der zerklüfteten Gastlosen-Kette und bei besagtem Chalet Grat (Kontakt siehe jaun.ch) endet: einem kleinen Bauernhof mit Matratzenlager direkt überm Kuhstall, Wasser aus der Schüssel, Licht aus der Taschenlampe – und wunderbaren Gastgebern. Als „Anzahlung“ aufs Abendessen genieße ich auf der Terrasse einen phantastischen frischen Tomme de Chèvre von der Alm gegenüber, und später gibt es dann noch Käse aus eigener Herstellung: Bei angeregter Plauderei und einer Flasche Fendant zum köstlichen Fondue klingt ein Tag aus, der auch nach all den tollen Bergetappen der vergangenen zehn Jahre etwas ganz Besonderes bleiben wird.

Chalet Grat – Abländschen – Grischbachtal – Saanenmöser – Zweisimmen – Meienbergalm – Diemtigtal – Spiez – Thun; 98 km, 1900 Hm

Nach einer ruhigen Nacht mit Blick durchs Zimmerfenster auf den erdnahen Mars stehe ich um sechs auf, denn für den Nachmittag sind Gewitter vorhergesagt. Mangels Landkarte verzichte ich auf den Versuch einer Offroad-Direttissima ins Simmental und rolle stattdessen auf der nicht zu verfehlenden Fahrstraße über Abländschen zum Talschluss, unschwierig ein paar hundert Höhenmeter bergan und dann durch das hübsche Grischbachtal nach Saanen. Von dort geht es zunächst auf der grässlichen Hauptstraße weiter, bis sich die Möglichkeit bietet, auf die nationale Veloroute 9 abzubiegen, die hier stetig steil vertikalmäandernd über schmale, aber asphaltierte Wirtschaftswege nach Zweisimmen geführt wird.

Für die nächste Bergprüfung erwische ich geradezu ideale Witterungsbedingungen: Der Regen ist mir kurz zuvorgekommen, die Luft ist frisch und rein, der Himmel noch bedeckt. Zum Glück ist der Asphalt auf dem teils recht steilen Sträßchen zur Meienbergalm trotz der Feuchtigkeit griffig. Vom Scheitelpunkt der Piste zweigt ein attraktiver Wiesentrail zum Seebergsee ab, allerdings ist auf 1920 Metern für Zweiradler Schluss: In der unmittelbaren Umgebung des idyllisch gelegenen Sees, den man von hier oben wunderbar sehen kann, ist Velofahren (sinnvollerweise) verboten.

Also zurück Richtung Meienbergalm und von dort auf der Fahrstraße hinab ins nächste Tal. Bis Spiez ist das unproblematisch, dort allerdings sollte man nicht wie ich den Fehler begehen, der Velo-Beschilderung Richtung Thun zu folgen. Hier regiert nämlich wieder einmal – Radwegplaner sind doch eine obskure Spezies – das Prinzip „niedlich statt nützlich“: Statt wie zu erwarten längs des Thuner Sees wird man auf einem Irrsinns-Umweg Richtung Bern über konsequent jeden Hügel des Vorlandes gelotst. Wäre ich nicht irgendwann in die der Ausschilderung entgegengesetzte Richtung abgebogen, ich beweifle, dass ich Thun je erreicht hätte …

In diesem Touristennest ist es mir entschieden zu rummelig für die Nacht, deshalb fahre ich etwas abseits der Uferstraße noch ein paar Dörfer weiter bis Oberhofen, von dort allerdings mangels gastronomischer Attraktionen nach den Basics (rudimentäre Fahrrad- und Menschenpflege, Wäsche waschen) erst mal mit dem Boot wieder zurück nach Thun und sättige mich direkt am Seeufer mit einer eher quantitativ als qualitativ überzeugenden Pizza.

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