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Oben ohne

Auf den chronologisch geordneten Galerieseiten unserer Radreisen wird dem aufmerksamen Betrachter nicht entgehen, dass anfangs hin und wieder ein Fahrradhelm zu sehen ist, später aber nicht mehr. Warum?

Einige Jahre lang bin ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Styroporschüssel für einen eher sportlich orientierten Radler wie mich ein unverzichtbares Sicherheitsutensil darstellt. Doch die Grundsatzdiskussionen, die zu diesem Thema mit geradezu religiösem Eifer in der Newsgroup de.rec.fahrrad geführt werden (google-Recherche zum Thema hier), bewogen mich irgendwann zum Nachdenken darüber, was so ein Helm leisten kann, was nicht und welche Auswirkungen er bereits vor einem etwaigen Unfall hat.

Es ist für den Laien schwierig zu beurteilen, was die einzelnen Prüfnormen für Fahrradhelme bedeuten. Einige Rechnungen dazu fanden sich vor Jahren einmal auf der Website www.radhelm.org. Demnach ist der typische Radhelm lediglich auf das Gewicht eines Kopfes ausgelegt und erfüllt seine Aufgabe, die aufs Gehirn wirkende Beschleunigung bei einem Aufprall zu dämpfen, nur dann optimal, wenn der Kopf so aufprallt, dass das Eigengewicht des restlichen Körpers nicht wirksam wird – was allerdings, so zumindest stelle ich mir das vor, seitens des Radlers erhebliche Akrobatik voraussetzen dürfte. Das senkrechte Auftreffen dagegen (immerhin der ideale Unfall für eine Halbschale …) eines durchschnittlich schweren Erwachsenen mit 25 km/h würde ein normgerechter Helm demzufolge auf gerade einmal 24 km/h abbremsen. Und ob das nun das entscheidende Fitzelchen Schutzwirkung ist oder vielmehr nicht der Rede wert, ist vermutlich eine Glaubensfrage.

Die Unwirksamkeits-Theorie wird allerdings gestützt von etlichen Unfallstatistiken (einige Links dazu ebenfalls auf radhelm.org), die darauf hindeuten, dass das Helmtragen beim Radfahren das Risiko, eine Kopfverletzung zu erleiden, nicht signifikant verringert, möglicherweise sogar erhöht. Nun gibt es gute Gründe dafür, Statistiken prinzipiell mit Vorsicht zu genießen. Aber bei näherer Betrachtung sind solche Ergebnisse durchaus plausibel:

Erstens sind Radhelme mehrheitlich keine Integralhelme, sie schützen also die empfindlichen Gesichtspartien nicht. Aber bei einem Fahrradunfall ist ein Sturz nach vorn aufs Gesicht allemal wahrscheinlicher als einer senkrecht auf den Kopf, wo die Halbschale sitzt. Und ob der nach vorn gezogene Bereich eines Helms bei einem Sturz nach vorn eher positiv dämpfend oder eher per Hebelwirkung schädlich auf Nacken und Kinn-/Kieferbereich wirkt, dürfte wiederum spekulativ bzw. vom Einzelfall abhängig sein.

Zweitens ist auch ein gut belüftetes Helmmodell, wie ich früher eins hatte, unangenehm zu tragen; es ist schweißtreibend und mindert, wenn auch in geringem Maße, Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit, steigert letztlich also das Unfallrisiko. Dasselbe kann – in je nach Fahrer individuell unterschiedlicher Ausprägung – ein Helm auch durch die so genannte Risikokompensation bewirken: jenen Effekt, dass jemand, der sich geschützt fühlt, dazu neigt, riskantere Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Dieses Verhalten beobachte ich allerdings eher bei Kindern und im Sportbereich (Rennrad, MTB), während erwachsene Helmträger im Stadtverkehr eher zu übertriebener Vorsicht neigen, was wieder andere Risiken mit sich bringt.

Insgesamt dürfte also auch bei wohlwollender Betrachtung die Schutzwirkung des Fahrradhelms eher unbedeutend sein. Dem stehen außer besagten direkten Risiken auch noch ein paar mittelbare Nachteile gegenüber, die für meine Entscheidung gegen die Hartschale letztlich ausschlaggebend waren. Sie betreffen die Außenwirkung des Helmtragens:

Wenn ich beim Radfahren meinen Kopf „schütze“, dann suggeriert dies, dass es sich beim Fahrrad um ein besonders gefährliches Verkehrsmittel handelt. Tatsächlich ist bekanntlich das Gegenteil der Fall: Wer Rad fährt, bewegt sich überdurchschnittlich gesundheitsförderlich, sicher (insbesondere abseits von Radwegen) und obendrein lustvoll durch den Verkehr.

Je mehr Radfahrer freiwillig Helm tragen, desto mehr potenzielle Radfahrer werden abgeschreckt; desto geringer ist die Präsenz der Gesamtheit aller Radler im Straßenverkehr (mit entsprechend steigendem Risiko für die verbleibenden Pedalritter); und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich unbehelmt verunglückte Radler auch bei objektiver Schuldlosigkeit eine Mitschuld anrechnen lassen müssen und dass letztlich auch in Deutschland eine Helmpflicht eingeführt wird.

Um all das zu vermeiden, fahre ich seit ca. anno 2000 nur noch „oben ohne“ Fahrrad; und gewissen wohlmeinenden Mitmenschen, die mich darauf hinweisen, als Vielradler möge ich doch bitte ein gutes Beispiel abgeben, entgegne ich reinen Gewissens:

Genau das tue ich.

(Mehr zum Thema hier).